ist 'großstadt' das problem?

22. August 2025 - Lesezeit: 3 Minuten

einen urlaubstag genutzt, um mal wieder weit aus der metropolregion rauszufahren. in kein touristengebiet, sondern 08/15 gegend.

erste station war eine kleine stadt mit fünftausend einwohnern. auf dem markplatz hat ein feines café mehrere tische aufgestellt, der ideale platz, um draußen ein frühstück zu genießen. die plätze waren alle schnell belegt und sowohl kunden als auch das personal waren gut gelaunt und lachten und plauderten. ein toller start in den tag!

nächstes ziel war ein größerer see in der nähe mit mehreren öffentlichen badeplätzen. die liegewiesen waren frisch gemäht, nirgendwo lag dreck rum. das publikum waren vorwiegend rentner, junge mütter mit kindern und radfahrer, die hier halt machten. neben dem badebereich war ein toiletten-containerhäuschen, das picobello sauber war. wer schon mal ein öffenliches großstadtklo nutzen durfte, weiß das sehr zu schätzen. das wasser im see war so klar und durchsichtig, dass man locker mehr als anderthalb meter unter der oberfläche den grund sehen konnte, kein schlamm, kein morast. über dem ganzen setting lag eine entspannte ruhe. einfach idyllisch.


nach dem baden lockte die mittelstadt mit 50.000 einwohnern. die sehenswürdigkeiten fein herausgeputzt und in der fußgängerzone belebtes treiben. aber auch hier überall freundliche menschen, gute stimmung. das macht lust auf shoppen und straßencafés.

am späten nachmittag ging es dann wieder zurück in die eine von drei großstädten der metropolregion. kaum aus dem auto ausgestiegen, empfingen einen lärm, müll, ernste gesichter und halt auch das übliche großstadtpublikum.

warum sind die menschen auf dem land so viel entspannter und freundlicher als hier in der großstadt?
ist 'großstadt' das eigentliche problem?

wirtschaftlichkeit und umweltschutz leiten die moderne stadtplanung, bestehenden wohnraum zu verdichten. lieber mehr menschen auf wenig platz unterbringen als zu zersiedeln. die drei großstädte der metropolregion haben in den letzten 25 jahren 100.000 neue einwohner hinzu bekommen, quasi eine großstadt mehr. aber wie bei labormäusen erzeugt das einfach mehr stress für alle, je dichter wir aufeinander sitzen. außerhalb von großstädten gibt es in deutschland keine no-go-areas und keine 'problemschulen'.

auf dem land leben die gleichen menschen wie in der großstadt. auch hier gibt es ausländer, arme, verwirrte seelen. aber anscheinend haben klein- und mittelstädte andere mechanismen, um damit erfolgreicher umzugehen als großstädte. und wir großstädter haben uns auch daran gewöhnt, viele missstände zu akzeptieren, die woanderes schnell behoben würden.

lieber "arm und sexy" wie berlin, wo verwaltung und infrastruktur ihre leistungsgrenzen längst erreicht haben? oder sollten wir lieber der großstadt den rücken kehren? glücklicher leben, obwohl man die chancen einer großstadt nicht mehr direkt nutzen kann?

was meint ihr?

topas
Geschrieben von topas am 26. August 2025
Ganz eindeutig: Jein. Auch das Landleben hat seine suboptimalen Seiten. Du hast keine Problemschulen, aber problematische Teile. Damit musst du klarkommen, während du in der Metropole die Chance hast, eher eine dem Kind angemessene Schule zu finden (ja, ist egoistisch, aber die Windmühlen gewinnen leider meist). Im 40km-Umkreis gibt es ein Gymnasium mit Naturwissenschaften als Schwerpunkt, sonst eher 08/15, während ich in der Metropole genau die Schule wüsste, die das richtige für meinen Sohn wäre. Auch kannst du auf dem Land No-Go-Areas haben - auch hier in der Kleinstadt gibt es Ecken, wo junge Frauen nachts ungern allein unterwegs sind. Du kannst in der Metropole in die Anonymität abtauchen. Auf dem Dorf bist du abgestempelt, wenn du (nach herrschender dortiger Meinung) nonkonformistisch bist. Vegetarier werden inzwischen toleriert, aber andere Sachen können noch knifflig werden. Überspitzt kannst du am No-Pants-Day in der Metropole früh deine Brötchen holen - und der Bäcker erinnert sich, das Freitag ist. Auf dem Dorf bist du hingegen für Wochen Gesprächstehma Nummer 1. Gerade als Jugendlicher, der sich nicht unbedingt in Jugendfeuerwehr, Schützenverein oder Fußballverein wiederfindet wird die Identitätsfindung schwer. Politisch interessiert - ab in die Metropole. Künstlerisch interessiert - ab Mittelstadt gibt es Angebote. Außerschulische Angebote - kommen wir auf Feuerwehr, Schützenverein und Fußball zurück (ok, es gibt noch Tanzgruppen und so). Deshalb: Es ist die Frage der eigenen Erwartungen an den Alltag: Will man den spicy-triple-caramel-bio-Kaffee im Becher oder den selbst aufgebrühten mit Blick auf etwas Grün? Will man die Möglichkeit haben, abends um 22:00 noch was zu Essen zu bekommen (auch wenn es Pizza, Döner... ist), oder entscheidet da der Kühlschrank? Will man die Auswahl an Restaurants haben - beim "Chinesisch essen gehen" musst du in der Großstadt zwischen Sichuan und kantonesisch entscheiden, während in der Kleinstadt der "Chinese" ein verkappter Vietnamese ist, der nebenbei auch noch Döner anbietet. Willst du die Möglichkeit haben, statt Auto auf Fahrrad oder ÖPNV umzusteigen (hier ist es die Entscheidung zwischen 15 und 50min pro Strecke). Soll das Kind bei der Auswahl der Sportart, die es machen will, zwischen 5 Sportarten oder 50 auswählen können? Beides hat seine Vorteile. Und jedes mal wenn man die Blickrichtung ändert (wie du aus Land kommst oder ich in die Metropole) sieht man die jeweiligen Vorteile. Ich kam in der Metropole mit dem ÖPNV subjektiv gut voran - die Bushaltestelle in unserem Dorf wird in den Schulferien zwei mal pro Woche angefahren. Auch fand ich es interessant, das Chinesisch nicht nur nach Glutamat und Aromen schmecken muss. Die Optionen, was Schulen angeht - beeindruckend. Bei uns (Kleinstadt) hat 22:00 bis auf eine Kneipe alles zu - in der Metropole hast du um Mitternacht mehr Optionen als in der Kleinstadt übehaupt existieren. Was man als Gast nicht sieht ist, dass der ÖPNV zur Stoßzeite jenseits der Kot#grenze fährt (Baustellen, Streiks noch nicht mal berücksichtigt), Du das Grün suchen musst - und es im Sommer hoffnungslos überlaufen ist (während zu Hause 2000m² Wald&Wiese sind, mit Pool Trampolin, Beeten, Obstbäumen - und der See 500m weit weg). Auch selbst kochen Spaß macht, wenn man sich aufgerafft hat, nach dem Kochtopf statt dem Pizzeria-Flyer zu greifen...